DAS EVANGELIUM AUS DER SICHT DES SPIRITISMUS

Allan Kardec

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Ist es zulässig, das Leben einer kranken Person zu verkürzen, die ohne Hoffnung auf Genesung leidet?

28. Ein Mann ist im Todeskampf, geplagt von grausamen Schmerzen. Man weiß, dass sein Zustand hoffnungslos ist. Ist es erlaubt, ihmeinige Momente derQual zu ersparen, indem man sein Ende schneller herbeiführt?


Wer hätte euch das Recht erteilt, Gottes Vorhaben zu beurteilen? Kann Er einen Menschen etwa nicht bis an den Rand des Grabens führen und ihn wieder zurückziehen, um ihm zu helfen, zu sich selbst zurückzukehren und ihn auf andere Gedanken zu bringen? In welcher Notlage ein Todkranker sich auch immer befinden mag, niemand kann mit Gewissheit sagen, dass seine letzte Stunde gekommen ist. Hat sich die Wissenschaft in ihren Vorhersagen etwa nie geirrt?


Ich weiß, dass es Fälle gibt, die man zurecht als aussichtslos bezeichnen kann. Selbst wenn keine begründete Hoffnung auf eine endgültige Rückkehr zum Leben und zur Gesundheit besteht, gibt es nicht dennoch unzählige Beispiele von Kranken, die im Moment ihres letzten Atemzuges wieder zu sich kommen und für ein paar Augenblicke wieder ihre Kräfte erlangen? Nun gut! Diese Stunde der Gnade, die ihnen gewährt wird, kann für sie von größter Bedeutung sein; denn ihr wisst nichts von den Überlegungen, die während des Todeskampfes in dem Geist stattfinden können; und welche Qualen ihm eine Erleuchtung durch Reue ersparen kann.


Der Materialist, der nur den Körper sieht und der Seele keinerlei Bedeutung beimisst, kann diese Sachen nicht verstehen; doch der Spiritist, der weiß, was jenseits des Grabes geschieht, kennt den Wert des letzten Gedankens. Lindert die letzten Schmerzen, soweit ihr könnt. Hütet euch aber davor, ein Leben zu verkürzen und sei es auch nur um eine Minute, denn diese Minute kann in der Zukunft viele Tränen ersparen.

(Hl. Ludwig, Paris, 1860)