KAPITEL V - Selig sind die Leidenden
Aber wehe euch Reichen, denn ihr habt euren Trost in dieser Welt. Wehe euch, die ihr satt seid, denn ihr werdet hungern. Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet gezwungen werden, zu heulen und zu weinen. ( Lukas, Kap. VI, 24-25)
Gerechtigkeit der Leiden
Aber was man noch weniger versteht ist, dass das Gute und das Böse so ungleichmäßig zwischen Laster und Tugend verteilt sind; dass die tugendhaften Menschen leiden neben den Bösen, die gedeihen. Der Glaube an die Zukunft kann trösten und Geduld verschaffen, erklärt aber solche Anomalien nicht, die Gottes Gerechtigkeit zu widersprechen scheinen.
Sobald man jedoch Gott anerkennt, kann man sich IHN nicht ohne unendliche Vollkommenheit vorstellen. ER soll der Allmächtige, Gerechte, Gütige sein, andernfalls wäre ER nicht Gott. Wenn Gott souverän, gut und gerecht ist, kann ER weder aus einer Laune heraus noch mit Parteilichkeit handeln. Die Schicksalsschläge des Lebens haben also eine Ursache, und da Gott gerecht ist, muss diese Ursache gerecht sein. Das ist es, wovon sich jeder gut überzeugen sollte. Gott brachte die Menschen durch die Lehre Jesu auf die Spur dieser Ursache, und heute, da ER die Menschen für reif genug hält, um sie zu verstehen, offenbart ER sie vollständig durch den Spiritismus, d.h. durch die Stimme der Geister.
Aktuelle Ursachen der Leiden
Indem man auf die Ursache der irdischen Leiden zurückgeht, wird man erkennen, dass viele eine natürliche Folge des Charakters und des Verhaltens derjenigen sind, die sie erdulden.
Wie viele Menschen fallen aufgrund ihrer eigenen Fehler! Wie viele sind Opfer ihrer Sorglosigkeit, ihres Hochmuts und ihres Ehrgeizes!
Wie viele Leute ruinieren sich aus Mangel an Ordnung und Beharrlichkeit, wegen des schlechten Benehmens und weil sie ihre Begierden nicht einschränken konnten!
Wie viele unglückliche Verbindungen gibt es, weil sie aus einem berechnenden Interesse oder aus Eitelkeit eingegangen wurden, wobei das Herz nicht mit einbezogen wurde!
Wie viele Streitigkeiten und verhängnisvolle Auseinandersetzungen hätte man mit mehr Mäßigung und weniger Empfindlichkeit vermeiden können!
Wie viele Krankheiten und Gebrechen sind die Folge von Unmäßigkeit und Übertreibungen aller Art!
Wie viele Eltern sind mit ihren Kindern unglücklich, weil sie deren schlechte Neigungen nicht von Anfang an bekämpft haben! Aus Schwäche oder Gleichgültigkeit haben sie in ihnen die Keime des Hochmutes, des Egoismus und der törichten Eitelkeit, die das Herz abstumpfen, sich entwickeln lassen. Später, wenn sie ernten, was sie gesät haben, wundern sie sich und regen sich über deren Respektlosigkeit und Undankbarkeit auf.
Alle diejenigen, die im Herzen durch die Schicksalsschläge des Lebens und Enttäuschungen betroffen sind, sollten ganz ernsthaft ihr Gewissen befragen; und indem sie nach und nach bis zur Quelle ihrer Leiden zurück gehen, mit denen sie geschlagen sind, werden sie erkennen, ob sie in den meisten Fällen nicht sagen müssen: „Wenn ich dies und jenes gemacht bzw. nicht gemacht hätte, wäre ich nicht in einer solchen Situation“.
Wem soll man die Schuld für all diesen Kummer geben, wenn nicht sich selbst? Der Mensch ist daher in vielen Fällen der Urheber seines eigenen Unglückes. Aber anstatt dies anzuerkennen, hält er es für einfacher und weniger demütigend für seine Eitelkeit, das Schicksal, die Vorsehung, die fehlenden Chancen und seinen schlechten Stern anzuklagen, während in Wirklichkeit sein schlechter Stern nur seine Nachlässigkeit ist.
Leiden dieser Art haben sicherlich einen bedeutenden Anteil an den Schicksalsschlägen des Lebens. Der Mensch wird sie vermeiden, wenn er an seiner moralischen und intellektuellen Verbesserung arbeitet.
Aber die Erfahrung kommt manchmal etwas spät: wenn das Leben bereits vergeudet und getrübt ist; die Kräfte schon verbraucht sind und wenn das Übel nicht wiedergutzumachen ist, dann fängt der Mensch an zu sagen: „Wenn ich am Anfang meines Lebens gewusst hätte, was ich jetzt weiß, wie viele Fehler hätte ich vermeiden können! Wenn ich wieder anfangen sollte, würde ich mich ganz anders verhalten; aber die Zeit dafür gibt es nicht mehr!“ Wie der faule Arbeiter, der sagt: „Ich habe meinen Tag vergeudet“, sagt er sich auch: „Ich habe mein Leben verloren“. Aber genauso wie für den Arbeiter die Sonne am nächsten Tag wieder aufgeht und ein neuer Tag beginnt, der es ihm ermöglicht, die verlorene Zeit wiedergutzumachen, so wird für den Menschen ebenfalls – nach der Dunkelheit des Grabes – die Sonne eines neuen Lebens scheinen, in dem er die Erfahrungen der Vergangenheit und seine guten Vorsätze für die Zukunft nutzen kann.
Vorherige Ursachen der Leiden
Diejenigen, die unter solchen Umständen geboren werden, haben in der aktuellen Existenz bestimmt nichts gemacht, um ohne Ausgleich so ein trauriges Schicksal zu verdienen, welches sie nicht vermeiden konnten und von sich selbst aus nicht ändern können und das sie auf öffentliche Hilfe angewiesen sein lässt. Also warum gibt es solche unglücklichen Wesen, während neben ihnen, unter demselben Dach, in derselben Familie, andere in jeglicher Hinsicht begünstigt sind?
Was soll man von diesen Kindern sagen, die so jung sterben und im Leben nur das Leid kennen gelernt haben? Das sind Probleme, die noch keine Philosophie lösen konnte; Anomalien, die noch keine Religion rechtfertigen konnte und die die Verneinung der Güte, der Gerechtigkeit und der göttlichen Vorsehung wären, wenn man voraussetzt, dass die Seele gleichzeitig mit dem Körper erschaffen wird, und dass ihre Bestimmung nach einem kurzen Aufenthalt auf der Erde unwiderruflich festgelegt ist. Was haben diese Seelen gemacht, die gerade aus den Händen des Schöpfers hervorgekommen sind, um auf dieser Welt soviel Elend zu erleiden und um dann in der Zukunft irgendeine Belohnung oder Bestrafung zu erhalten, wenn sie weder das Gute noch das Übel tun konnten?
Aber aufgrund des Grundsatzes „jede Wirkung hat eine Ursache“, sind solche Miseren eine Wirkung, die eine Ursache haben müssen, und sobald man annimmt, dass Gott gerecht ist, dann muss diese Ursache auch gerecht sein. Wenn nun die Ursache immer vor der Wirkung steht, und da diese nicht im aktuellen Leben ist, muss sie sich im vorherigen Leben befinden, d.h. sie muss einer vorigen Existenz angehören. Da andererseits Gott jemanden weder für das Gute das er gemacht hat noch für das Böse das er nicht getan hat, bestrafen kann, bedeutet das, dass wenn wir bestraft werden, wir das Böse auch getan haben. Wenn wir dieses Übel nicht im gegenwärtigen Leben getan haben, dann haben wir es in einem anderen Leben getan. Das ist eine Alternative, aus der man nicht entfliehen kann, und wo die Logik zeigt, auf welcher Seite die Gerechtigkeit Gottes ist.
Also der Mensch wird nicht immer in seinem aktuellen Leben bestraft oder ganz bestraft; aber er entkommt nie den Konsequenzen seiner Verstöße. Das Gedeihen des Übels ist nur vorübergehend; wenn er seine Schulden heute nicht büßt, wird er morgen büßen, während derjenige, der leidet, gerade seine Vergangenheit abbüßt. Das Unglück, das auf den ersten Blick unverdient scheint, hat seine Daseinsberechtigung und derjenige, der leidet, kann immer sagen: „Verzeihe mir, Herr, denn ich habe gesündigt“.
So erklären sich – durch die Pluralität der Existenzen und die Bestimmung der Erde als eine Welt der Sühne – die Anomalien der Verteilung von Glück und Unglück zwischen den Guten und Bösen auf Erden. Diese Anomalie existiert jedoch bloß scheinbar, nämlich dann, wenn einzig und allein nur das gegenwärtige Leben betrachtet wird. Wenn man sich aber durch die Gedanken so erhebt, dass eine Serie von Existenzen überblickt werden kann, wird man sehen, dass jeder den Teil bekommt, den er verdient, ohne Beeinträchtigung dessen, was ihm in der Welt der Geister zusteht, und dass die Gerechtigkeit Gottes niemals unterbrochen wird.
Der Mensch soll nie aus den Augen verlieren, dass er sich in einer niedrigen Welt befindet, wo er nur wegen seiner Unvollkommenheiten gehalten wird. Bei allen Schicksalsschlägen soll er sich sagen, dass dies nicht passiert wäre, wenn er einer fortgeschritteneren Welt angehören würde, und dass es nur von ihm abhängt, auf diese Welt nicht mehr zurückkehren zu müssen, indem er an seiner Verbesserung arbeitet.
Die Drangsale sind daher gleichzeitig: Sühnen der Vergangenheit sowie Strafen und Prüfungen für die Zukunft, die von ihnen vorbereitet wird. Danken wir Gott, dass ER in SEINER Güte dem Menschen die Möglichkeit der Wiedergutmachung gewährt und ihn nicht wegen eines ersten Verstoßes unwiderruflich verurteilt.
Zweifellos kann das Leiden, das kein Murren hervorruft, eine Sühne sein; aber es ist ein Zeichen dafür, dass es eher freiwillig ausgewählt wurde, als aufgezwungen. Das Leiden ist der Beweis eines starken Entschlusses, was ein Zeichen von Fortschritt ist.
Vergessen der Vergangenheit
Der Geist wird oft in demselben Milieu wiedergeboren, wo er schon gelebt hat und befindet sich in Beziehungen mit denselben Personen, um das Böse wiedergutzumachen, das er ihnen angetan hat. Wenn er in ihnen diejenigen erkennen würde, die er gehasst hat, könnte vielleicht der Hass wieder entstehen. Auf jeden Fall wäre er vor den Menschen, die er beleidigt hatte, gedemütigt.
Damit wir uns verbessern, gewährt Gott uns genau das, was wir brauchen und was uns genügt: die Stimme des Gewissens und die instinktiven Neigungen; ER nimmt uns weg, was uns schaden könnte.
Von Geburt an bringt der Mensch das mit, was er erworben hat. Er kommt auf die Welt mit dem, was er aus sich gemacht hat; jede Existenz ist für ihn ein neuer Ausgangspunkt. Ihn interessiert es nicht zu wissen, was er war: er wird bestraft, wenn er eine Übeltat begangen hat. Seine aktuellen bösen Neigungen sind das Überbleibsel, das in ihm noch zu verbessern ist; und darauf muss er seine ganze Aufmerksamkeit konzentrieren; denn das, was man vollständig verbessert hat, hinterlässt keine Spuren. Die guten Entschlüsse, die er getroffen hat, sind die Stimme des Gewissens,die ihn auf das Gute und das Böse hinweist und die ihm Kraft gibt, den Versuchungen zu widerstehen.
Außerdem kommt das Vergessen nur während des physischen Lebens vor. Kehrt der Geist in das geistige Leben zurück, erhält er auch die Erinnerungen an die Vergangenheit wieder; daher ist es nichts anderes als eine vorübergehende Unterbrechung, ähnlich der, die im irdischen Leben während des Schlafes passiert, was nicht daran hindert, uns am nächsten Tag daran zu erinnern, was wir am Vorabend und an vorhergehenden Tagen gemacht haben.
Es ist nicht nur nach dem irdischen Tod, dass der Geist die Erinnerung an die Vergangenheit wiederbekommt. Man kann sagen, dass er sie nie verliert, denn die Erfahrung beweist, dass der Geist innerhalb der Inkarnation, während des physischen Schlafes – wo er eine bestimmte Freiheit genießt – das Bewusstsein seiner vorherigen Taten hat. Er weiß dann, warum er leidet, und dass er zu Recht leidet. Die Erinnerung erlischt nur während der physischen Lebensphase. Aber mangels einer genaueren Erinnerung, die für ihn schmerzlich und schädigend bei seinen Sozialkontakten sein könnte, schöpft er in diesen Augenblicken der Befreiung der Seele neue Kräfte, falls er sie nutzen konnte.
Gründe der Gelassenheit
Diese Worte können auch so gedeutet werden: Ihr sollt euch glücklich schätzen zu leiden, weil eure Leiden hier auf Erden eure Schuld von vergangenen Verstößen sind, und diese Leiden, hier geduldig ertragen, euch Jahrhunderte von Leiden in den zukünftigen Leben ersparen. Ihr sollt also glücklich sein, dass Gott eure Schuld vermindert hat, indem ER euch erlaubt, sie jetzt wieder gutzumachen, was euch die Ruhe in der Zukunft garantiert.
Der Mensch, der leidet, ist ähnlich dem Schuldner einer beträchtlichen Summe, dessen Gläubiger sagt: „Wenn du mir heute noch ein Hundertstel deiner Schuld bezahlst, werde ich dir den Rest erlassen und du wirst frei sein; falls nicht, werde ich dich verfolgen, bis du die letzte Rate bezahlt hast“. Würde der Schuldner sich nicht freuen, alle Arten von Entbehrungen zu erdulden, um sich zu befreien, indem er nur das Hundertstel seiner Schuld bezahlen muss? Statt sich über seinen Gläubiger zu beschweren, sollte er ihm nicht dankbar sein?
So ist der Sinn dieser Worte: „Selig sind die Leidenden, denn sie werden getröstet“. Sie sind glücklich, weil sie ihre Schulden bezahlen, und nach der Bezahlung werden sie frei sein. Wenn aber der Mensch bei der Bezahlung einer Teilschuld sich wiederum neu verschuldet, wird er nie seine Befreiung erreichen können. Jeder neue Verstoß erhöht also die Schuld, denn es gibt keinen Verstoß, egal welcher, der keine zwingende und unvermeidliche Strafe nach sich zieht; wenn nicht heute, wird es morgen sein; wenn nicht in dem gegenwärtigen Leben, wird es im nächsten sein. Unter diesen Verstößen muss man an erste Stelle den Mangel an Unterwerfung gegenüber Gottes Willen stellen, denn, wenn man über den Kummer murrt, wenn man ihn nicht mit Gelassenheit und als etwas annimmt, das man verdient hat, wenn man Gott als ungerecht bezeichnet, zieht man neue Schuld auf sich, welche den Nutzen verlieren lässt, den man aus dem Leiden hätte ziehen können. Man muss dann wieder von Neuem beginnen; es ist genauso, als ob ihr bei einem Gläubiger, der euch quält, einen Teil eurer Schulden begleicht, aber gleich wieder ein neues Darlehen von ihm in Anspruch nehmt.
Bei seinem Eintritt in die geistige Welt ist der Mensch wie ein Arbeiter, der am Zahltag erscheint. Zu einigen wird der Herr sagen: „Hier ist der Lohn eurer Tagesarbeit“; zu anderen, den Glücklichen der Erde, die im Müßiggang gelebt haben, deren Glück aus den Befriedigungen ihrer Eigenliebe und weltlichen Genüssen bestanden hat, wird er sagen: „Ihr werdet nichts bekommen, denn ihr habt bereits auf Erden euren Lohn erhalten. Geht und fangt eure Arbeit wieder von vorne an“.
Er schöpft daraus eine Ruhe und Gelassenheit, sowohl für seine körperliche Gesundheit wie auch für seine Seele; während er sich durch Neid, Eifersucht und Ehrgeiz freiwillig der Qual aussetzt und folglich die Miseren und die Ängste seiner kurzen Existenz vergrößert.
Selbstmord und Wahnsinn
Die Verbreitung der materialistischen Lehren ist also das Gift, das die Idee des Selbstmordes in viele Menschen einimpft, die sich umbringen; und diejenigen, die sich zu Aposteln einer solchen Lehre machen, übernehmen eine furchtbare Verantwortung. Mit dem Spiritismus – woran nicht mehr zu zweifeln ist – ändert sich der Aspekt des Lebens. Der Gläubige weiß, dass seine Existenz nach dem Grab unbegrenzt fortbesteht, wenn auch unter gänzlich anderen Bedingungen; was dazu führt, dass ihn die Geduld und die Gelassenheit auf eine sehr natürliche Weise davon ablenken, an Selbstmord zu denken. Kurz gesagt, er hat die moralische Stärke.
Die Zahl der Selbstmorde, die durch den Spiritismus verhindert worden sind, ist beträchtlich und man kann daraus schließen, dass es keine bewussten Selbstmorde mehr geben wird, wenn alle Menschen Spiritisten sein werden. Wenn man also die Ergebnisse der materialistischen Lehren mit denen der spiritistischen Lehren nur unter diesem einen Aspekt des Selbstmordes vergleicht, erkennt man, dass die Logik der Erstgenannten zu Selbstmord führt, während die der anderen den Selbstmord abwenden, was durch die Erfahrung bestätigt worden ist.
Unterweisungen der geistigen Welt
Richtiges und falsches Leiden
18. Als Christus sagte „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“, gedachte er nicht diejenigen, die allgemein leiden. Denn alle, die sich auf der Erde befinden, leiden, ob man auf einem Thron sitzt oder auf Stroh liegt. Ach, wenige aber ertragen das Leid gut! Wenige können verstehen, dass nur die gut erduldeten Prüfungen sie zum Reich Gottes führen können. Mutlosigkeit ist dagegen ein Fehler. So bekommt ihr von Gott keinen Trost, wenn euch der Mut fehlt. Das Gebet ist dabei eine Stütze für die Seele, das reicht jedoch nicht aus. Es muss auf einem lebhaften Glauben an die Güte Gottes basieren. Es wurde euch wohl oft gesagt, dass Er keine schwere Last auf schwache Schultern lädt. Diese Last steht vielmehr im Verhältnis zu den Kräften, genauso wie sich die Belohnung nach der Resignation und dem Mut richten wird. Je beschwerlicher der Kummer ist, umso reichlicher wird diese Belohnung also sein. Diese muss man sich aber verdienen. Das Leben ist deswegen voller Drangsale.
Jeder Sportler, der nicht auf das Spielfeld geschickt wird, ist wohl unzufrieden, da ihm die Ruhepause keine Leistungsverbesserung ermöglicht. Seid daher wie die Wettkämpfer und verlangt nicht nach Ruhe. Eurer Körper würde sich dadurch nur aufregen und eure Seele untätig werden. Freut euch, wenn Gott euch in den Wettkampf schickt. Dieser Kampf ist keine Schlacht, sondern gleich bedeutend mit der Bitterkeit des Lebens. Hierzu benötigt man bisweilen mehr Mut als für einen blutigen Kampf. Denn jemand, der vor einem Feind stark bleibt, beugt sich womöglich dem Druck einer moralischen Strafe. Der Mensch erhält für diese Art Mut keine Belohnung. Gott hält aber ihm den Siegestaumel und einen ruhmreichen Ort bereit. Wenn etwas euch Leid oder Ärger bereitet, versucht euch darüber zu erheben. Wenn ihr es geschafft habt, Anflüge von Ungeduld, Zorn und Verzweiflung zu beherrschen, sagt zu euch selbst voller berechtigter Zufriedenheit: „Ich war der Stärkere.”
„Selig sind, die da Leid tragen; “ kann schließlich wie folgt übersetzt werden: Selig sind diejenigen, welche die Gelegenheit haben, ihren Glauben, ihre Stärke, ihre Beharrlichkeit und die Gottergebenheit zu beweisen, denn sie werden hundertfach die Freuden erhalten, die ihnen auf Erden fehlten. Nach der mühevollen Arbeit wird schließlich die Ruhe folgen.
(Lacordaire, Le Havre, 1863.)
Leiden und deren Heilmittel
19. Ist eure Erde also ein Ort des Genusses, ein Paradies der Freude?
Erreicht die Stimme des Propheten eure Ohren nicht mehr? Hat sie nicht hinausgerufen, dass es Tränen und Zähneknirschen für diejenigen gäbe, die in diesem Tal des Leidens geboren würden? Ihr, die ihr hier lebt, seid gefasst auf quälende Tränen und bitteres Leid! So stechend und tief eure Schmerzen auch sein mögen, richtet eueren Blick zum Himmel und preiset den Herrn, dass Er euch hat prüfen wollen! ... O Menschen! Werdet ihr die Macht eueres Herrn denn nur erkennen, wenn Er die Wunden eueres Körpers geheilt und eure Tage mit Seligkeit und Glück gekrönt hat? Werdet ihr Seine Liebe nur erkennen, wenn Er eueren Körper mit aller Glorie verziert und ihm Glanz und Pracht gegeben hat? Folgt euerem Vorbild nach, das euch gegeben wurde und das in der letzten Stufe der Abscheulichkeit und der Erbärmlichkeit, auf einem Müllhaufen geworfen, zu Gott sagte: „Herr, ich habe alle Wonnen des Reichtums kennen gelernt und Du hast mich in die völlige Armut zurückversetzt; danke, danke, mein Gott, dass Du Deinen Diener hast prüfen wollen!“ Bis wann werden eure Blicke am Horizont stehen bleiben, der durch den Tod gekennzeichnet ist? Wann wird eure Seele endlich den Wunsch verspüren, sich jenseits der Grenzen eines Grabes aufzuschwingen? Und wenn ihr auch ein ganzes Leben lang weinen und leiden müsstet, was wäre das vor der ewigen Herrlichkeit, die demjenigen bereitgehalten wird, der die Prüfung mit Glaube, Liebe und Resignation erduldet hat? Sucht daher den Trost für eure Übel in der Zukunft, die Gott euch bereitet und sucht ihre Ursachen in der Vergangenheit. Und ihr, die ihr am meisten leidet, haltet euch für die Glückseligen dieser Erde.
Im nicht-inkarnierten Zustand, als ihr noch durch das All schwebtet, habt ihr eure Prüfungen ausgewählt, weil ihr euch für stark genug hieltet, diese zu erdulden. Warum jetzt klagen? Ihr, die ihr um Reichtum und Ruhm gebeten habt, wolltet den Kampf gegen die Versuchung aufnehmen und sie besiegen. Ihr, die ihr gebeten habt, mit Leib und Seele gegen das moralische und das physische Übel anzukämpfen, wusstet, je härter die Prüfung ausfiele, desto glorreicher wäre der Sieg. Ihr wusstet außerdem, dass sich, falls ihr triumphiert, - selbst wenn euer Fleisch auf einen Müllhaufen geworfen würde -, aus ihm nach dem Tod eine strahlend glänzende Seele befreien würde, gereinigt durch die Erlösung der Abbüßung und des Leides.
Welches Hilfsmittel sollte man nun denjenigen anbieten, die von grausamen Besessenheiten und quälendem Übel heimgesucht werden? Nur eines ist unfehlbar: der Glaube, der Blick zum Himmel. Wenn ihr in einem Anfall grausamsten Leides Hymnen für den Herrn singt, wird euch der Engel an euerem Kopfende mit der Hand das Zeichen der Erlösung geben und den Platz zeigen, den ihr eines Tages einnehmen werdet ... Der Glaube ist das sichere Heilmittel für das Leid. Er zeigt immer den Horizont der Unendlichkeit, vor dem die wenigen dunklen Tage der Gegenwart verblassen. Fragt uns daher nicht mehr, welches Heilmittel dieses Geschwür oder jene Wunde, diese Versuchung oder jene Prüfung heilen kann. Erinnert euch daran, dass derjenige, der glaubt, durch die Hilfe des Glaubens stark ist; dass wer andererseits auch nur einen Augenblick an seiner Wirkung zweifelt, derart sofort bestraft wird, weil er in dem Moment auch die schmerzvollen Qualen des Kummers spürt.
Der Herr hat all diejenigen, die an Ihn glauben, mit seinem Siegel gekennzeichnet. Christus hat euch gesagt, der Glaube könne Berge versetzen. Ich sage euch, dass diejenigen, die leiden und durch einen starken Glauben gestützt werden, in Seinem Schutz stehen und nicht mehr leiden werden. Die Augenblicke der stärksten Schmerzen werden für ihn die ersten Vermerke einer glückseligen Ewigkeit sein. Die Seele wird sich in einer Weise vom Körper ablösen, dass sie, noch während er sich unter Krämpfen windet, in himmlische Regionen schweben und mit den Engeln Hymnen zum Dank und zu Ehren Gottes singen wird.
Glückselig sind diejenigen, die leiden und weinen! Ihre Seelen sollen sich erfreuen, denn sie werden von Gott erfüllt werden.
(Hl. Augustinus, Paris, 1863)
Das Glück ist nicht von dieser Welt
20. „Ich bin nicht glücklich! Das Glück ist nicht für mich gemacht!“ ruft der Mensch meistens und zwar in allen Gesellschaftsschichten. Dies, meine lieben Kinder, beweist besser als sämtliche Überlegungen die Wahrheit dieser Maxime aus dem Buch Prediger: Das Glück ist nicht von dieser Welt. In der Tat sind weder Reichtum noch Macht und auch nicht die blühende Jugend Hauptbedingungen für das Glück. Sogar nicht einmal diese drei so begehrten Bedingungen zusammen. Denn man hört, wie sich Menschen aller Altersstufen, mitten in den privilegiertesten Schichten, unablässig über ihre Lebenssituation bitter beklagen.
Vor diesem Hintergrund ist es unbegreiflich, dass die kämpfende Arbeiterschicht mit so viel Begierde die Stellung derer beneidet, die durch das Schicksal begünstigt zu sein scheinen. In dieser Welt hat jeder, sosehr man sich auch bemüht, sein Stück Arbeit und Elend, seinen Anteil an Leid und Enttäuschung, woraus man mühelos den Schluss ziehen kann, dass die Erde ein Ort der Prüfungen und der Abbüßungen ist.
Somit irren sich diejenigen, welche die Erde als einzigen Wohnort des Menschen verkünden und sagen, dass es ihm gestattet ist, nur dort und in nur einmaliger Existenz die höchste Stufe der Glückseligkeit, die seine Natur erfassen kann, zu erreichen. Und sie täuschen ihre Zuhörer, da durch jahrhundertealte Erfahrung bewiesen ist, dass dieser Planet nur in Ausnahmefällen die notwendigen Bedingungen für die vollkommene Glückseligkeit des Individuums erfüllt.
Man kann allgemein bejahen, dass dieses Glück auf der Erde eine Utopie ist, zu der sich jede Generation aufmacht, ihr nachzustreben, ohne jemals ans Ziel zu gelangen. Denn, wenn weise Menschen schon eine Seltenheit auf dieser Welt sind, umso weniger findet man hier den vollkommen glückseligen Menschen.
Das, woraus das Glück auf dieser Erde besteht, ist eine vergängliche Sache. Für jemanden, der sich nicht von der Weisheit leiten lässt, verliert sich ein Jahr, einen Monat oder eine Woche vollständiger Befriedigung und alles andere in einer Abfolge von Bitterkeit und Enttäuschungen. Und bemerkt, meine lieben Kinder, dass ich von den Glücklichen der Erde spreche, von denen, die von der Masse beneidet werden.
Wenn das Leben auf der Erde für Prüfungen und Abbüßungen bestimmt ist, muss man folglich annehmen, dass es woanders vorzüglichere Wohnorte gibt, an denen der Geist, obwohl er noch in einem materiellen Körper gefangen ist, über die dem menschlichen Leben innewohnende Freude vollständig verfügt. Deswegen hat Gott in euerem Luftwirbel solche schönen erhabenen Planeten ausgesät, zu denen ihr durch eure Anstrengungen und Neigungen eines Tages hingezogen werdet, wenn ihr genügend gereinigt und vervollkommnet seid.
Trotzdem solltet ihr aus meinen Worten nicht folgern, dass die Erde für immer bestimmt ist, eine Strafanstalt zu sein. Gewiss nicht! Denn aus den schon verwirklichten Fortschritten könntet ihr mühelos zukünftige Fortschritte herleiten und aus den erreichten sozialen Verbesserungen neue und fruchtbarere Verbesserungen. Das ist die große Aufgabe, die diese neue Lehre erfüllen soll, welche die Geistwesen euch offenbart haben.
So möge euch, meine lieben Kinder, dieser himmlische Wetteifer beleben, auf dass jeder den „alten Menschen“ in sich energisch ablege. Ihr sollt euch zur Verbreitung des Spiritismus berufen fühlen, der eure eigene Erneuerung bereits in Gang gesetzt hat. Ihr habt die Pflicht, eure Geschwister an den Strahlen des göttlichen Lichtes teilhaben zu lassen. Also, an die Arbeit, meine lieben Kinder! Auf dass in dieser feierlichen Zusammenkunft eure ganzen Herzen nach diesem großartigen Ziel streben, den künftigen Generationen eine Welt vorzubereiten, in der Glück nicht mehr nur ein leeres Wort sein wird.
(François-Nicolas-Madeleine, Kardinal Morlot, Paris, 1863)
Verlust geliebter Menschen – Frühtod
21. Wenn der Tod eure Familienmitglieder dahinrafft und ohne Einschränkungen die Jüngeren vor den Älteren nimmt, pflegt ihr zu sagen: „Gott ist ungerecht, denn Er opfert jemanden, der stark ist und eine großartige Zukunft vor sich hatte, um diejenigen zu beschützen, die schon viele Jahre voller Enttäuschungen gelebt haben. So nimmt Er jene, welche nützlich sind und lässt andere zurück, die zu nichts mehr taugen. Er bricht das Herz einer Mutter, indem Er ihr das unschuldige Wesen wegnimmt, das ihre ganze Freude war.“
Menschen, in diesem Punkt müsst ihr euch über das Irdische wohl erheben, um zu verstehen, dass das Gute oft da ist, wo ihr meint, das Übel zu sehen und dass die weise Vorsehung dort ist, wo ihr das blinde, unabwendbare Schicksal vermutet. Warum messt ihr die göttliche Gerechtigkeit an dem Wert, den sie für euch hat? Könnt ihr glauben, dass der Herr der Welten euch aus purer Lust und Laune grausame Strafen auferlegen möchte? Nichts geschieht ohne eine bedachte Absicht und was auch immer passiert, alles hat seine Daseinsberechtigung. Wenn ihr jeden Kummer, der euch trifft, besser durchschauen würdet, so könntet ihr darin immer die göttliche Vernunft - ja, eine erneuernde Vernunft – vorfinden.
Eure schäbigen Interessen wären nebensächliche Gedanken, die in den Hintergrund treten würden.
Glaubt mir, dass, selbst bei einer Inkarnation von zwanzig Jahren, der Tod einer schamhaften Zügellosigkeit vorzuziehen ist. Denn sie betrüben die ehrwürdigen Familien und zerbrechen die Mütterherzen, mit der Folge, dass das Haar der Eltern frühzeitig ergraut. Der frühe Tod ist oft ein großes Geschenk, das Gott demjenigen gewährt, der stirbt und der somit vom Elend und den Versuchungen verschont bleibt, die ihn vielleicht in den Ruin gestürzt hätten. Wer in der Blüte seines Lebens stirbt, ist keineswegs ein Opfer des Schicksals. Vielmehr erachtet Gott es als sinnvoll für ihn, dass er nicht länger auf der Erde bleibt.
Ihr sagt „es sei ein schreckliches Unglück“, wenn der Faden eines Lebens, das voller Hoffnungen war, so früh durchtrennt wird. Von welchen Hoffnungen sprecht ihr? Von der irdischen Hoffnung, der Verstorbene hätte die Chance gehabt, erfolgreich zu sein und ein Vermögen aufzubauen? Immer dieser engstirnige Blick, dem es nicht gelingt, sich über die Materie zu erheben. Wisst ihr wie das Schicksal dieses Menschen ausgesehen hätte, das euerer Meinung nach so hoffnungsvoll war? Wer sagt euch, dass dieses Leben nicht voller Leid gewesen wäre? Verachtet ihr also die Hoffnungen des zukünftigen Lebens so sehr, dass ihr den Hoffnungen dieses vergänglichen Lebens, das ihr auf Erden führt, den Vorzug gebt? Nehmt ihr also an, dass ein hoher Rang unter den Menschen mehr wert ist, als ein Platz unter den glückseligen Geistern?
Freut euch, statt euch zu beschweren, wenn es Gott gefällt, eins Seiner Kinder aus diesem Tal des Elends wegzuholen. Ist es nicht egoistisch, sich zu wünschen, dass diese Person da bleiben möge, um mit euch zu leiden? Ach, dieser Schmerz ist begreiflich bei demjenigen, der keinen Glauben hat und der im Tod eine Trennung für immer sieht! Ihr Spiritisten aber wisst, dass die Seele freier lebt, wenn sie von ihrer körperlichen Hülle befreit ist. Und ihr Mütter, seid euch bewusst, dass eure geliebten Kinder nah bei euch sind; ja, sie sind sehr nah. Denn ihre fluidalen Körper umgeben euch, ihre Gedanken schützen euch, eure Erinnerung an sie erfüllt sie mit Freude, aber auch euer törichtes Leid bedrückt sie, denn es zeigt Mangel an Glauben und
Auflehnung gegen den Willen Gottes.
Ihr, die ihr das spirituelle Leben versteht, hört auf den Schlag eueres Herzens, wenn ihr die geliebten Wesen ruft; und wenn ihr Gott darum bittet, sie zu segnen, werdet ihr jenen mächtigen Trost fühlen, der die Tränen trocknet. Ihr werdet jenes wunderbare Verlangen empfinden, das euch die Zukunft zeigt, welche der erhabene Herr euch versprochen hat.
(Sanson, früheres Mitglied der Pariser Spiritistischen Gesellschaft, 1863)
Wenn er ein guter Mensch gewesen wäre, wäre er gestorben.
22. Ihr sagt oft, wenn es sich um einen schlechten Menschen handelt, der einer Gefahr entgangen ist: „Jung stirbt, wen die Götter lieben.“ Indem ihr das sagt, habt ihr es getroffen, denn es geschieht in der Tat recht oft, dass Gott einem jungen Geist, der sich noch auf dem Weg des Fortschrittes befindet, eine längere Prüfung auferlegt als einem guten Geist. Diesem wird als Lohn für seine Verdienste die Gnade zuteil, dass seine Prüfung so kurz wie möglich ausfällt. So gesehen sollt ihr nicht denken, ihr begeht Gotteslästerung, wenn ihr diesen Grundsatz aussprecht.
Wenn ein guter Mensch stirbt, dessen Nachbar ein schlechter Mensch ist, dann sagt ihr voreilig: „Mir wäre lieber, wenn dieser gestorben wäre.” Ihr irrt euch gewaltig, denn derjenige, der gegangen ist, hat seine Aufgabe beendet und der andere, der bleibt, hat vielleicht noch gar nicht damit begonnen. Warum möchtet ihr also, dass der Schlechte keine Zeit mehr bekommt, sie zu erledigen und dass der andere noch auf irdischem Boden gefangen bleibt? Was würdet ihr sagen, wenn man einen Gefangenen, der seine Strafe bereits abgebüßt hat, weiter im Gefängnis behielte, während demjenigen Freiheit gegeben würde, der auf sie kein Recht hätte? Wisset daher, dass die wahre Freiheit in der Sprengung der körperlichen Fesseln liegt; solange ihr auf der Erde seid, seid ihr in Gefangenschaft.
Lernt Sachen nicht zu verurteilen, die ihr nicht verstehen könnt und glaubt, dass Gott in allen Angelegenheiten gerecht ist. Was euch als Böses erscheint, ist oft Gutes. Aber eure Fähigkeiten sind so begrenzt, dass die Gesamtheit des großen Ganzen eueren stumpfen Sinnen entgeht! Bemüht euch, mit den Gedanken aus eueren engen Sphären herauszutreten. Und in dem Maße, wie ihr euch erhebt, wird die Bedeutung des materiellen Lebens zusehends schwinden. Dann erscheint es euch nur mehr wie ein Zwischenfall in der unendlichen Dauer euerer spirituellen Existenz, der einzig wahren Existenz.
(Fénelon, Sens, 1861)
Freiwillige Qualen
23. Der Mensch läuft ständig dem Glück hinterher, das ihm jedoch immer wieder entgleitet. Denn ungetrübtes Glück gibt es auf der Erde nicht. Allerdings könnte der Mensch trotz der Schicksalsschläge, die in diesem Leben eine unvermeidliche Begleiterscheinung sind, wenigstens relatives Glück genießen. Er aber sucht es in vergänglichen Dingen, die denselben Schicksalsschlägen unterworfen sind, das heißt in materiellen Vergnügungen, statt es in den Freuden der Seele zu suchen, die ihrerseits ein Vorgeschmack auf die unvergänglichen himmlischen Freuden darstellen. Statt den Frieden des Herzens zu suchen, das einzig wahre Glück auf dieser Welt, ist der Mensch gierig nach allem, was ihn aufwühlen und verwirren kann. Seltsamerweise scheint er sich sogar absichtlich Qual zu bereiten, die er selbst vermeiden könnte.
Gibt es größere Leiden als diejenigen, die durch Neid und Eifersucht verursacht werden? Für den neidischen und eifersüchtigen Menschen gibt es keinen Frieden. Er fiebert immer. Was er nicht hat, das wiederum andere besitzen, bereitet ihm Schlaflosigkeit. Erfolge seiner Gegner machen ihn schwindlig. Er kämpft ausschließlich darum, seinen Nachbarn in den Schatten zu stellen und seine ganze Freude besteht darin, diese rasende Eifersucht, von der er besessen ist, auch bei denen auszulösen, die ebenso geistesgestört sind, wie er. Es sind in der Tat arme Narren, die nicht daran denken, dass sie vielleicht schon morgen all diesen Tand aufgeben müssen, denn die Gier danach hat ihr Leben vergiftet! Zu ihnen passen sicherlich nicht die Worte: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ Denn ihre Sorgen zählen nicht zu denen, für die es im Himmel den verdienten Ausgleich gibt.
Wie viel Kummer erspart sich dagegen derjenige, der sich mit dem zufrieden gibt, was er hat, der ohne Neid auf das blickt, was er nicht hat und der nicht versucht mehr darzustellen, als tatsächlich vorhanden ist. Dieser ist immer reich, denn wenn er seinen Blick nicht nach oben, sondern nach unten richtet, wird er immer Menschen sehen, die noch weniger haben. Er ist ruhig, denn er schafft sich keine trügerischen Bedürfnisse. Und diese Ruhe, inmitten der Lebensstürme, ist das nicht Glück?
(Fénelon, Lyon, 1860)
Wirkliches Unglück
24. Jeder spricht von Unglück, jeder hat es schon einmal gefühlt und glaubt, seinen vielfältigen Charakter zu kennen. Ich möchte euch sagen, dass sich fast alle irren und dass das wahre Unglück keineswegs das ist, was die Menschen, also die Unglücklichen, vermuten. Sie sehen es in der Armut, in dem Herd ohne Feuer, in dem drohenden Gläubiger, in der leeren Wiege, in der einst der Engel lächelte, in den Tränen, in dem Sarg, den man mit unbedecktem Haupt und gebrochenem Herzen begleitet, in der Furcht vor Verrat, in der Not des Stolzes, der sich in Purpur einkleiden möchte und seine Blöße unter den Lumpen der Eitelkeit kaum verbergen kann. Dies alles und noch vielmehr nennt man in der menschlichen Sprache Unglück.
Ja, das ist Unglück für diejenigen, die nur die Gegenwart sehen; das wahre Unglück ist jedoch vielmehr in den Folgen einer Sache als in der Sache selbst zu suchen. Sagt mir, ob ein Ereignis, das zwar für den Augenblick als glücklich angesehen wird, das jedoch unheilvolle Auswirkungen hat, in Wirklichkeit nicht viel unglücklicher ist als jenes, das zunächst heftigen Ärger verursacht und schließlich Gutes hervorbringt. Sagt mir, ob ein Sturm, der eure Bäume entwurzelt, jedoch die Luft reinigt, indem er schädliche Stoffe auflöst, die tödlich gewesen wären, nicht vielmehr Glück als Unglück ist.
Um irgendetwas zu beurteilen, müssen wir dessen Konsequenzen bedenken. Um einzuschätzen, was für den Menschen wahrhaftiges Glück oder Unglück ist, müssen wir uns in das Jenseits dieses Lebens begeben. Denn genau dort sind diese Konsequenzen spürbar. So hört all das, was man in seiner beengten Sichtweise Unglück nennt, mit dem körperlichen Leben auf und findet seinen Ausgleich in dem zukünftigen Leben.
Ich werde euch das Unglück in einer neuen Weise offenbaren, in einer schönen und angenehmen Weise, die ihr annehmt und euch mit der ganzen Kraft euerer getäuschten Seelen wünscht. Das Unglück sind die falsche Freude, das Vergnügen, der Tumult, die unnütze Aufregung und die törichte Befriedigung der Eitelkeit, die das Gewissen zum Schweigen bringen, die Gedankentätigkeit unterdrücken und den Menschen von seiner Zukunft ablenken. Das Opium des Vergessens, das ihr euch so sehnlichst herbeiwünscht, das ist das Unglück.
Wartet ab, ihr, die ihr weint! Zittert, ihr, die ihr lacht, weil eure Körper zufrieden sind! Gott betrügt man nicht; dem Schicksal entrinnt man nicht; und die Prüfungen, diese Gläubiger, die noch unerbittlicher sind als eine vom Elend aufgepeitschte Menge, lauern euerer trügerischen Ruhe auf, um euch urplötzlich in den Todeskampf des wahren Unglücks zu stürzen, das die von Gleichgültigkeit und Egoismus geschwächte Seele überrascht.
Möge euch der Spiritismus Erleuchtung bringen und Wahrheit und Irrtum, die durch eure Blindheit so befremdend entstellt sind, in das rechte Licht rücken! Dann werdet ihr wie tapfere Kämpfer handeln, die eben nicht vor der Gefahr fliehen, sondern waghalsige Kämpfe dem Frieden vorziehen, der ihnen weder Ruhm noch Fortschritt bringen kann! Welche Bedeutung hat es für einen Kämpfer, seine Waffen, sein Gepäck und seine Uniform zu verlieren, wenn er sieg- und ruhmreich aus dem Kampf hervorgeht? Was bedeutet es demjenigen, der den Glauben an die Zukunft hat, auf dem Schlachtfeld des Lebens sein Vermögen und seine körperliche Hülle zu lassen, wenn seine Seele strahlend das himmlische Reich betritt?
(Delphine de Girardin, Paris, 1861)
Die Schwermut
25. Wisst ihr, warum oftmals eine unerklärliche Trauer Besitz von euerem Herzen ergreift und euch das Leben so bitter empfinden lässt? Das ist euer Geist, der nach Glück und Freiheit trachtet und, da er an den Körper gebunden ist, der ihm als Gefängnis dient, in vergeblichen Bemühungen sich erschöpft, aus ihm zu entfliehen. Indem er merkt, dass diese Anstrengungen nutzlos sind, verfällt er in Mutlosigkeit. Da der Körper seinem Einfluss unterliegt, ergreifen Kraftlosigkeit, Niedergeschlagenheit und eine Art Apathie Besitz von euch und ihr fühlt euch unglücklich.
Glaubt mir, ihr müsst diesem Druck, der eueren Willen schwächt, mit aller Kraft Widerstand leisten. Dieses Streben nach einem besseren Leben ist dem Geist aller Menschen angeboren, doch sucht es nicht auf dieser Welt. Und jetzt, da Gott Seine Geister sendet, um euch über das Glück, dass Er euch bereit hält, zu unterrichten, wartet geduldig auf den Engel der Erlösung, der euch helfen wird, die Fesseln zu durchtrennen, die eueren Geist gefangen halten. Denkt daran, dass ihr während euerer Prüfungsphase auf der Erde eine Aufgabe erfüllen müsst, von der ihr nichts ahnt, sei es in der Hingabe an die Familie oder in der Erfüllung verschiedener Aufgaben, die Gott euch anvertraut hat. Wenn ihr im Laufe dieser Prüfung und während der Erfüllung euerer Pflichten merkt, wie Sorgen, Unruhe und Kummer in euch aufsteigen, so ertragt sie mit Stärke und Mut. Tretet ihnen offen entgegen; sie sind von kurzer Dauer und sollen euch zu den Freunden führen, die ihr beweint, die sich auf eure Ankunft freuen und euch bei der Hand nehmen werden, um euch zu dem Ort zu führen, zu dem irdischer Kummer keinen Zugang hat.
(François de Genève, Bordeaux)
Freiwillige Prüfungen – Die wahre Aufopferung
26. Ihr fragt, ob es erlaubt ist, seine Prüfungen abzumildern? Diese Frage läuft auf folgende Frage hinaus: Ist es jemandem, der ertrinkt, erlaubt sich zu retten? Und demjenigen, der einen Dorn im Finger hat, ihn zu entfernen? Demjenigen, der krank ist, einen Arzt zu rufen? Ziel der Prüfungen ist es, Intelligenz sowie Geduld und Schicksalsergebenheit zu entwickeln. Ein Mensch kann gerade deshalb in einer sehr schwierigen Situation zur Welt kommen, um so gezwungenermaßen einen Weg zu suchen, die Schwierigkeiten zu besiegen. Der Verdienst besteht darin, die Folgen des unvermeidlichen Problems ohne Klage zu ertragen; den Kampf durchzustehen; nicht zu verzweifeln, wenn etwas nicht gelingt und sich jedoch auch nicht hängen zu lassen. Denn das wäre Trägheit und keine Tugend.
Diese Frage führt uns selbstverständlich zu einer anderen. Jesus sagte:„Selig sind, die da Leid tragen.“ Ist es daher lobenswert das Leid zu suchen, indem man sich durch freiwilliges Leiden seine Prüfungen erschwert? Darauf antworte ich sehr klar: Ja, wenn Leiden und Verzicht das Wohl des Nächsten zum Ziel haben. Das ist ein großer Verdienst. Denn das ist Nächstenliebe durch Aufopferung. Nein, wenn man es nur, um seiner selbst willen tut, denn das ist Egoismus durch Fanatismus.
Man muss hier einen großen Unterschied machen. Was euch persönlich betrifft, seid zufrieden mit den Prüfungen, die Gott euch sendet und bürdet euch nicht mehr auf, als ihr ohnehin schon tragen müsst. Nehmt sie mit Vertrauen an, ohne zu klagen. Das ist alles, was Gott von euch verlangt. Schwächt eueren Körper nicht durch unnötige Entbehrungen und zwecklose Kasteiungen. Denn ihr benötigt all eure Kräfte, um eure Aufgaben auf der Erde zu vollenden. Den eigenen Körper freiwillig zu quälen bedeutet gegen das Gesetz Gottes zu verstoßen, Der euch Mittel gibt, ihn aufrecht zu halten und zu stärken. Den Körper unnötig zu schwächen ist wahrer Selbstmord. Gebraucht, aber missbraucht nicht: So lautet das Gesetz. Der Missbrauch der besten
Sachen zieht eine Bestrafung durch unvermeidbare Konsequenzen nach sich.
Anderes verhält es sich mit dem Leid, das man sich auferlegt, um seinem Nächsten zu helfen; wenn ihr Kälte und Hunger ertragt, um einen bedürftigen Menschen zu wärmen und zu ernähren und somit euerem Körper Leid zufügt: Ein solches Opfer wird von Gott gesegnet. Ihr, die ihr eure wohl riechenden Wohnungen verlasst, um einem anderen Trost zu bringen, der in einem verwahrlosten Zimmer lebt; ihr, die ihr eure zarten Hände schmutzig macht, um Wunden zu versorgen; ihr, die ihr den Schlaf einbüßt, um am Bett eines Kranken zu wachen, der auch euer Bruder in Gott ist; ihr alle, die ihr eure Gesundheit in den Dienst guter Taten stellt; hier leistet ihr Abbüßung, wahre Abbüßung voller Segen, weil das Glück der Welt eure Herzen nicht ausgetrocknet hat. Ihr habt euch nicht inmitten der aufregenden Vergnügungen des Wohlstandes zur Ruhe gesetzt, sondern wurdet zu tröstenden Engeln für die Bettelarmen.
Aber ihr, die ihr euch aus der Welt zurückzieht, um Verführungen zu entgehen und in Einsamkeit zu leben, worin besteht euer Nutzen auf dieser Erde? Wo ist euer Mut zu Prüfungen, da ihr vor dem Kampf flieht und davonlauft? Wenn ihr euch der Abbüßung unterziehen wollt, so tut dies an der Seele und nicht am Körper; kasteit eueren Geist und nicht euer Fleisch. Geißelt eure Selbstliebe, nehmt Erniedrigungen auf euch ohne zu klagen, bekämpft eure Selbstgefälligkeit und stemmt euch gegen die Schmerzen der Beleidigungen und Verleumdungen, die stechender sind als körperliche Schmerzen. Das ist die wahre Abbüßung, deren Wunden euch angerechnet werden, weil sie euch Mut und Gottgehorsam bescheinigen.
(Ein Schutzgeist, Paris, 1863)
Sollten wir den Prüfungen unseres Nachbarn ein Ende setzen?
27. Soll man den Prüfungen seines Nächsten möglichst ein Ende setzen oder aus Achtung vor dem Plan Gottes die Zustände ihren Lauf nehmen lassen?
Wir haben euch wiederholt gesagt, dass ihr auf diesem Planeten der Abbüßung seid, um eure Prüfungen zu vollenden; und dass alles, was euch geschieht, Folgen aus eueren früheren Existenzen sind, der Schuldenanteil, den ihr noch zu bezahlen habt. Dieser Gedanke ruft jedoch bei manchen Menschen Überlegungen hervor, die unbedingt abgestellt werden müssen, weil sie schlimme Folgen haben könnten.
Einige denken, dass, wenn sie auf der Erde schon zur Buße sind, sie den Prüfungen ihren Lauf nehmen lassen müssen. Ebenso verhält es sich mit denjenigen, die sogar soweit gehen zu glauben, man müsse nichts tun, um sie zu mildern, sondern im Gegenteil, die Prüfungen noch verschärfen, um noch mehr Nutzen daraus zu ziehen. Das ist ein großer Irrtum. Ja, eure Prüfungen sollen den Weg gehen, den Gott euch vorgezeichnet hat. Kennt ihr aber diesen Weg? Wisst ihr, wie weit sie gehen müssen und ob der barmherzige Vater über das Leiden dieses oder jenes Bruders nicht gesagt hat: „Bis hierher und nicht weiter”? Wisst ihr denn, ob Seine Vorsehung euch nicht ausgewählt hat, nicht etwa als Werkzeug der Pein, um das Leid des Schuldigen noch zu verschlimmern, sondern als tröstender Balsam, um die Wunden zu heilen, die Seine Gerechtigkeit geöffnet hat? Wenn ihr also einen euerer Brüder seht, der vom Schicksal getroffen wurde, dann sagt nicht: Das ist die Gerechtigkeit Gottes, sie muss ihren Lauf nehmen. Im Gegenteil, sagt euch: „Lasst uns sehen, mit welchen Mitteln mich der barmherzige Vater ausgestattet hat, um das Leid meines Bruders zu lindern. Lasst uns sehen, ob mein moralischer Beistand, meine materielle Hilfe oder mein Rat ihm nicht helfen können, diese Prüfung mit mehr Kraft, Geduld und Schicksalsergebenheit zu überstehen. Lasst uns auch sehen, ob Gott mir nicht ein Mittel an die Hand gegeben hat, um dieser Prüfung ein Ende zu setzen; ob es mir selbst nicht als Prüfung, vielleicht ja als Abbüßung, auferlegt wurde, das Übel abzustellen und es durch Frieden zu ersetzen.
Helft euch daher stets bei eueren jeweiligen Prüfungen und betrachtet euch nie als Folterinstrumente. Dieser Gedanke muss jeden Menschen, der ein gutes Herz hat, empören, vor allem den Spiritisten. Denn der Spiritist muss, mehr als jeder andere, das unendliche Ausmaß der Güte Gottes begreifen. Als Spiritist muss man daran denken, dass das ganze Leben ein Akt der Liebe und der Ergebenheit ist und dass die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen wird, was immer er auch tut, um den Entscheidungen des Herrn entgegenzuwirken. Er kann daher ohne Furcht alles unternehmen, um die Bitterkeit der Prüfungen zu lindern, aber Gott allein kann sie beenden oder verlängern, je nachdem, wie Er es für angebracht hält.
Wäre nicht ein Zeichen von übermäßigem Hochmut bei dem Menschen zu finden, der sich dazu berechtigt fühlte, das Schwert gewissermaßen noch einmal in die Wunde zu stoßen? Oder die Dosis des Giftes in der Brust des Leidenden zu erhöhen, unter dem Vorwand, dergestalt sei seine Abbüßung? Ja! Betrachtet euch vielmehr immer als ein Instrument, das ausgewählt wurde, Schmerzen zu beheben. Fassen wir demnach zusammen: Ihr seid alle auf der Erde, um abzubüßen, aber ihr solltet euch alle, ausnahmslos, nach Kräften bemühen, die Abbüßungen euerer Geschwister nach dem Gesetz der Liebe und der Nächstenliebe zu lindern.
(Bernardin, Schutzgeist, Bordeaux, 1863)
Ist es zulässig, das Leben einer kranken Person zu verkürzen, die ohne Hoffnung auf Genesung leidet?
28. Ein Mann ist im Todeskampf, geplagt von grausamen Schmerzen. Man weiß, dass sein Zustand hoffnungslos ist. Ist es erlaubt, ihmeinige Momente derQual zu ersparen, indem man sein Ende schneller herbeiführt?
Wer hätte euch das Recht erteilt, Gottes Vorhaben zu beurteilen? Kann Er einen Menschen etwa nicht bis an den Rand des Grabens führen und ihn wieder zurückziehen, um ihm zu helfen, zu sich selbst zurückzukehren und ihn auf andere Gedanken zu bringen? In welcher Notlage ein Todkranker sich auch immer befinden mag, niemand kann mit Gewissheit sagen, dass seine letzte Stunde gekommen ist. Hat sich die Wissenschaft in ihren Vorhersagen etwa nie geirrt?
Ich weiß, dass es Fälle gibt, die man zurecht als aussichtslos bezeichnen kann. Selbst wenn keine begründete Hoffnung auf eine endgültige Rückkehr zum Leben und zur Gesundheit besteht, gibt es nicht dennoch unzählige Beispiele von Kranken, die im Moment ihres letzten Atemzuges wieder zu sich kommen und für ein paar Augenblicke wieder ihre Kräfte erlangen? Nun gut! Diese Stunde der Gnade, die ihnen gewährt wird, kann für sie von größter Bedeutung sein; denn ihr wisst nichts von den Überlegungen, die während des Todeskampfes in dem Geist stattfinden können; und welche Qualen ihm eine Erleuchtung durch Reue ersparen kann.
Der Materialist, der nur den Körper sieht und der Seele keinerlei Bedeutung beimisst, kann diese Sachen nicht verstehen; doch der Spiritist, der weiß, was jenseits des Grabes geschieht, kennt den Wert des letzten Gedankens. Lindert die letzten Schmerzen, soweit ihr könnt. Hütet euch aber davor, ein Leben zu verkürzen und sei es auch nur um eine Minute, denn diese Minute kann in der Zukunft viele Tränen ersparen.
(Hl. Ludwig, Paris, 1860)
Opfer seines eigenen Lebens.
29. Ist derjenige, der seines Lebens überdrüssig ist, jedoch keinen Selbstmord begehen möchte, schuldig, wenn er den Tod auf dem Schlachtfeld sucht, mit demGedanken, sich durch seinen Tod nützlich zu machen?
Ob sich der Mensch das Leben nimmt oder sich umbringen lässt, das Ziel ist immer, das Leben zu verkürzen; folglich gibt es den absichtlichen Selbstmord und den herbeigeführten. Der Gedanke, sein Tod könne für etwas nützlich sein, ist trügerisch. Er ist nur ein Vorwand, um seine Tat zu beschönigen, um sich vor sich selbst zu entschuldigen. Wenn er ernsthaft den Wunsch hätte, seinem Land zu dienen, würde er versuchen zu leben, um es zu verteidigen und nicht zu sterben. Denn tot kann er dem Land nicht mehr nützlich sein. Die wahre Ergebenheit besteht nur darin, keine Angst vor dem Tod zu haben, wenn es darum geht, nützlich zu sein und der Gefahr zu trotzen und, wenn nötig, sein Leben vorzeitig und ohne Reue zu opfern. Aber die geplante Absicht, den Tod zu suchen, indem man sich der Gefahr aussetzt, selbst um einen Dienst zu erweisen, macht den Wert dieser Tat zunichte.
(Hl. Ludwig, Paris, 1860)
30. Ein Mensch setzt sich drohender Gefahr aus, um das Leben eines Mitmenschen zu retten, obwohl er weiß, dass er selbst dabei umkommen wird. Kann das als Selbstmord betrachtet werden?
Sofern der Tod nicht absichtlich gesucht wird, handelt es sich auch nicht um Selbstmord, sondern um Hingabe und Verzicht, ungeachtet der Gewissheit, sein Leben möglicherweise zu verlieren. Wer aber kann diese Gewissheit haben? Wer sagt, dass die Vorsehung nicht im kritischsten Augenblick noch ein unerwartetes Mittel zur Rettung bereithält? Kann sie nicht sogar Menschen retten, die vor einem Kanonenrohr stehen? Oft kann es sein, dass sie die Prüfung der Schicksalsergebenheit bis zum Äußersten treibt und ein unerwarteter Umstand wendet den verhängnisvollen Schlag schließlich ab.
(Hl. Ludwig, Paris, 1860)
Profitieren Sie vom Leiden für andere.
31. Arbeiten diejenigen, die ihr Leid mit Schicksalsergebenheit annehmen, weil sie sich dem Willen Gottes unterziehen und den Blick auf ihr zukünftiges Glück gerichtet haben, nur für sich selbst; und kann ihr Leid auch für andere Menschen nützlich sein?
Diese Leiden können für andere materiell und moralisch nützlich sein. Materiell gesehen, wenn sie durch Arbeit, Entbehrungen und selbst auferlegte Opfer zum materiellen Wohl ihrer Nächsten beitragen; moralisch durch ihr Beispiel, das sie geben, wenn sie sich dem Willen Gottes unterordnen. Dieses Beispiel für die Kraft des spiritistischen Glaubens kann viele Unglückliche zur Schicksalsergebenheit ermuntern und sie vor der Verzweiflung und zukünftigen, traurigen Folgen bewahren.
(Hl. Ludwig, Paris, 1860)