ZWEITES KAPITEL - Das Wunderbare und das Übernatürliche
- Was gegen die Gesetze der Natur ist. Ihr kennt also diese Gesetze so gut, dass es euch möglich ist, die Grenze der Allmacht Gottes zu bezeichnen? Nun gut, so beweist, dass die Existenz der Geister und ihre Kundgebungen gegen das Naturgesetz sind; dass sie nicht eines der Naturgesetze ist und sein kann! Folgt der spiritistischen Lehre und seht, ob diese Verkettung nicht alle Kennzeichen eines wunderbaren Gesetzes an sich trägt, welches alles aufklärt, was bisher alle Philosophien nicht aufzuklären im Stande waren. Das Denken ist eine der Eigenschaften des Geistes; die Möglichkeit, auf die Materie einzuwirken, auf unsere Sinneswerkzeuge einen Eindruck zu machen und infolge dessen uns Gedanken zu übertragen, ist das Ergebnis, wenn wir uns so ausdrücken können, seiner physiologischen Beschaffenheit. Dabei gibt es nichts Übernatürliches, nichts Wunderbares. Dass ein toter Mensch, und zwar ganz tot, körperlich wieder auflebt, dass seine zerstreuten Glieder sich vereinigen sollten, um seinen Körper wieder zu bilden, das wäre sonderbar, übernatürlich und eigenartig, das wäre eine Abweichung vom Naturgesetz, welche Gott nicht eintreten lassen könnte, außer durch ein Wunder; aber es gibt nicht solches in der spiritistischen Lehre.
So ist man von Beobachtung zu Beobachtung dahin gekommen, zu erkennen, dass dieses unsichtbare Wesen, dem man den Namen Geist gab, nichts anderes ist, als die Seele derer, die körperlich gelebt haben, und die der Tod von ihrer groben, sichtbaren Hülle befreit hat, indem er ihnen nur eine ätherische Hülle, die in ihrem normalen Zustande unsichtbar ist, gelassen hat. Da ist das Sonderbare und Übernatürliche auf seine einfache Bedeutung zurückgeführt.
Wenn einmal das Dasein der unsichtbaren Wesen dargelegt ist, so ist ihr Einfluss auf die Materie das Resultat der Eigenschaft ihrer fluidischen Hülle. Dieser Einfluss ist ein intelligenter, denn bei ihrem Ableben haben sie nur ihren Körper verloren, aber sie haben ihre Intelligenz, die ihr Wesen bildet, behalten. Da ist der Schlüssel zu allen Erscheinungen, welche man fälschlicherweise für übernatürlich gehalten hat. Das Dasein der Geister ist aber kein vorgefasstes System, eine Hypothese, um die Tatsachen zu erklären; es ist ein Resultat von Wahrnehmungen und die natürliche Folge des Daseins der Seele. Dies zu leugnen, hieße die Seele und ihre Eigenschaften zu verleugnen.
Diejenige, die denken für die intelligenten Wirkungen einer vernunftmäßigeren Lösung finden zu können, vor allem, alle Fakten erklären zu können, sollen es nur versuchen. Erst dann wird es möglich sein, über den Wahrheitsgehalt jeder einzelnen zu diskutieren.
Nach ihrer Meinung ist das Wunderbare absurd. Der Spiritismus stützt sich auf wunderbare Fakten; demzufolge ist der Spiritismus absurd, das ist ihr Urteil ohne alle Widerrede. Sie glauben einen unwiderleglichen Beweis entgegen zu stellen, wenn sie, nachdem sie anspruchsvolle Untersuchungen über die Konvulsionären von St. Mèdard, über die Calvinisten in den Sevennen, über die Nonnen von Loudun angestellt haben, dahin gelangt sind, darin offenkundige Tatsachen vom Schwindel, den niemand leugnet, gefunden zu haben; aber sind denn diese Geschichten das Evangelium des Spiritismus? Haben seine Anhänger je geleugnet, dass diese Marktschreierei einige Tatsachen für sich ausgebeutet hat, dass damit die Einbildungskraft gesteigert wurde, und dass der Fanatismus vieles übertrieben hat? Der Spiritismus hat mit den Abschweifungen, die man in seinem Namen machen kann, eben so wenig zu tun, als die wahre Wissenschaft vor den Missbräuchen der Unwissenheit, und die wahre Religion vor den Ausschreitungen des Fanatismus. Viele Kritiker beurteilen den Spiritismus nur nach den Märchen von Feen und den Volkssagen, die über ihn gedichtet wurden; es ist eben so, als wenn man die Weltgeschichte auf Grundlage der historischen Romane und Tragödien beurteilen wollte.
»Aber wo bleibt der Glaube des Spiritismus stehen? « wird man sagen; »Seht, beobachtet, und ihr werdet es wissen.« Jede Wissenschaft erwirbt man sich nur mit der Zeit und durch das Studium. Nun denn, der Spiritismus, welcher die schwierigsten Fragen der Philosophie und alle Zweige der gesellschaftlichen Ordnung berührt, der den physischen und moralischen Menschen zugleich umfasst, ist für sich selbst eine ganze Wissenschaft, eine ganze Philosophie, die man ebenso wenig in ein paar Stunden erlernen kann, wie andere Wissenschaft. Es wäre ebenso lächerlich, den ganzen Spiritismus in einem drehenden Tische zu sehen, als es kindisch wäre, die ganze Physik in gewissen Spielwerkzeugen der Kinder zu erblicken. Wer sich mit dem Oberflächlichen nicht begnügen will, dem genügen nicht Stunden, sondern Monate und Jahre setzt er daran, um alle Geheimnisse desselben zu ergründen. Hiervon schließe man auf den Grad des Wissens und den Wert der Meinung derjenigen, die sich das Recht der Beurteilung anmaßen, weil sie ein oder zwei Experimente gesehen haben, die sehr oft nur als Unterhaltung und aus Zeitvertreib vorgenommen wurden. Sie werden ohne Zweifel sagen, dass sie nicht Muße haben, diesem Studium die nötige Zeit zu widmen. Sei es so, niemand zwingt sie dazu. Wenn man aber keine Zeit hat, eine Sache zu lernen, sollte man weder über sie reden noch sie urteilen, wenn man nicht der Leichtfertigkeit beschuldigt werden will. Nun denn, eine je höhere Stellung man in der Wissenschaft einnimmt, desto weniger ist es verzeihlich, einen Gegenstand leichtfertig zu behandeln, den man nicht kennt.
Da sich diese Erscheinungen auf ein Naturgesetz gründen, so haben sie nichts Sonderbares und nichts Übernatürliches im gewöhnlichen Sinne des Wortes an sich.
Viele Erscheinungen werden darum für übernatürlich gehalten, weil man ihre Ursache nicht kennt; da ihnen der Spiritismus eine Ursache zuweist, führt er sie wieder in den Bereich der natürlichen Erscheinungen zurück.
Unter den Tatsachen, welche für übernatürlich erklärt werden, sind viele, deren Unmöglichkeit der Spiritismus nachweist, und welche er in den Aberglauben zurückweist.
Obwohl der Spiritismus anerkennt, dass in manchem Volksglauben ein Körnchen Wahrheit zu finden ist, so übernimmt er keineswegs die Bürgschaft für alle phantastischen, durch die Einbildungskraft geschaffenen Erzählungen.
Den Spiritismus nach Tatsachen zu beurteilen, die er nicht zugibt, heißt seine Unkenntnis an den Tag legen und seiner Meinung alle Glaubwürdigkeit entziehen.
Die Erklärung der Tatsachen, die der Spiritismus zulässt, das Darlegen ihrer Ursachen und moralischen Folgen bildet für sich eine eigene Wissenschaft, eine ganze Philosophie, welche ein ernstes, anhaltendes und tiefes Studium erfordert.
Der Spiritismus kann nur den, als einen ernsten Kritiker betrachten, der mit Geduld und Beharrlichkeit eines ernsten Beobachters alles gesehen, alles studiert und alles erwogen hat; der von diesem Gegenstand so viel weiß, wie der aufgeklärte Anhänger, der daher seine Kenntnisse von wo anders her geschöpft hat, als aus den Romanen der Wissenschaft, dem man keine Tatsache vorlegen kann, ohne dass er davon Kenntnis hat, kein Argument, welches er nicht durchgedacht hätte, der zurückweist, aber nicht durch bloßes Ableugnen, sondern durch schlagende Gründe, und der endlich den anerkannten spiritistischen Tatsachen eine logische Ursache beizumessen im Stande ist. Ein solcher Kritiker ist noch zu finden.
15. Wir haben gerade das Wort Wunder ausgesprochen. Eine kurze Betrachtung dieses Gegenstandes wird in diesem Kapitel über das Wunderbare passend sein. In seiner Grundbedeutung und nach seiner Etymologie bedeutet das Wort Wunder, es sei eine außerordentliche Sache, wunderbar anzusehen; aber dieses Wort hat sich, wie viele andere, von seiner ursprünglichen Bedeutung entfernt. Heutzutage bedeutet es nach der französischen Akademie einen Akt der göttlichen Macht gegen die Naturgesetze. So ist in der Tat seine angenommene Bedeutung, und nur durch einen Vergleich und als Metapher gebraucht man es bei gewöhnlichen Dingen, die uns überraschen und deren Ursache uns unbekannt ist.
Es fällt uns nicht ein, zu erforschen, ob es Gott für gut gehalten hat, unter gewissen Umständen die von ihm selbst gegebenen Naturgesetze aufzuheben, wir haben nur das Ziel, zu zeigen, dass die spiritistischen Erscheinungen, so außerordentlich sie auch sein mögen, niemals diese Gesetze aufheben, dass sie keinen wunderbaren Charakter haben, ebenso wenig wunderbar und übernatürlich sind. Ein Wunder lässt sich nicht erklären; die spiritistischen Erscheinungen dagegen lassen sich auf die vernünftigste Art erklären; sie sind also keine Wunder, sondern einfache Tatsachen, die ihre Begründung in den allgemeinen Gesetzen finden. Ein anderes Merkmal des Wunders ist, dass es ungewöhnlich ist und einzeln auftritt. Sobald eine Sache sozusagen nach Belieben und durch verschiedene Personen bewirkt wird, so kann sie kein Wunder sein.
Die Wissenschaft macht in den Augen der Unwissenden alle Tage Wunder. Das ist der Grund, warum in der Antike diejenigen, welche mehr wussten als das Volk, meistens für Hexer gehalten wurden; und da man glaubte, dass jede übermenschliche Wissenschaft vom Teufel komme, so verbrannte man sie. Heutzutage, wo man gebildeter ist, begnügt man sich damit, sie ins Irrenhaus zu schicken.
Wenn ein Mensch, der wirklich gestorben ist, wie wir es eingangs gesagt haben, durch göttliches Eingreifen wieder zum Leben gebracht wird, so ist dies ein wahres Wunder, weil es gegen die Naturgesetze ist; wenn aber dieser Mensch nur den Schein des Todes hat, wenn in ihm noch ein Rest der verborgenen Lebenskraft vorhanden ist, und wenn die Wissenschaft oder magnetische Behandlung es dahin bringen, ihn wieder zu beleben, so ist das für aufgeklärte Menschen eine natürliche Erscheinung, aber in den Augen des unwissenden Volkes wird diese Tat für ein Wunder gelten und der Urheber dessen wird entweder mit Steinwürfen verfolgt oder verehrt werden, je nach seinem individuellen Charakter. Wenn ein Physiker in der Mitte des Feldes einen elektrischen Drachen aufsteigen und den Blitz auf einen Baum fallen lässt, so wird man diesen neuen Prometheus gewiss wie mit einer diabolischen Macht ausgerüstet betrachten. Dieser sogenannte Prometheus scheint uns nur ein Vorgänger Franklins zu sein; aber wenn Josua die Bewegung der Sonne oder vielmehr der Erde aufhält, das ist ein wahres Wunder; denn wir kennen keinen Magnetiseur, der Macht genug hätte, ein solches Wunderwerk zu bewirken.
Eine der ausserordentlichsten unter allen spiritistischen Manifestationen ist ohne Widerrede die direkte Schrift; denn diese zeigt uns in auffallender Weise die Tätigkeit der verborgenen Intelligenzen; allein sobald diese Erscheinung durch verborgene Wesen bewirkt wird, ist sie ebenso wenig wunderbar, wie alle anderen Phänomene, die man den unsichtbaren Agenten verdankt, weil diese verborgenen Wesen, welche den Raum erfüllen, eine von den Naturkräften bilden, eine Kraft, deren Einfluss sowohl auf die materielle als auch auf die moralische Welt unausgesetzt wirkt.
Indem uns der Spiritismus diese Kraft erklärt, gibt er uns einen Schlüssel zu einer Menge unerklärter und auf eine andere Weise unerklärbarer Tatsachen, die in vergangenen Zeiten für ein Wunder gelten konnten, er enthüllt uns so wie der Magnetismus, ein, wenngleich nicht unbekanntes, so doch schlecht aufgefasstes Naturgesetz, oder um richtiger zu reden: man kannte seine Wirkungen, denn sie sind zu allen Zeiten hervorgebracht worden, aber man kannte das Gesetz nicht, und die Unkenntnis des Gesetzes hat den Aberglauben erzeugt. Sobald man das Naturgesetz erkannte, verschwand das Wunderbare, und die Erscheinungen traten in die Reihe der natürlichen Dinge. Deshalb tun die Spiritisten ebenso wenig Wunder, wenn sie bewirken, dass sich ein Tisch dreht, oder dass die Verstorbenen schreiben, als ein Arzt, der einen Scheintoten wieder belebt und ein Physiker, der den Blitz hervorbringt. Derjenige, welcher behaupten würde, mit Hilfe dieser Wissenschaft Wunder zu wirken, wäre mit der Sache entweder unbekannt oder ein Schwindler.
Er kommt also der Religion zu Hilfe, indem er die Möglichkeit gewisser Tatsachen nachweist, die, wenn sie den Charakter des Wunderbaren nicht an sich tragen, dennoch nicht weniger außerordentlich sind. Aber deshalb ist Gott nicht weniger groß, nicht weniger mächtig, dass er seine Gesetze nicht aufgehoben hat. Zu welchem Gelächter hat nicht das die Levitation (Schweben) des heiligen Kupertin Anlass gegeben. Nun denn, das Schweben schwerer Körper in der Luft ist eine Tatsache, die der Spiritismus erklärt; wir selbst waren persönlich dabei Augenzeugen, und Herr Daniel Dunglas Home und auch andere Leute unserer Bekanntschaft haben zu verschiedenen Malen das vom heiligen Kupertin hervorgebrachte Phänomen wiederholt. Dieses Phänomen tritt daher in die Reihe der gewöhnlichen Erscheinungen.
Die Erklärung ist doch ein mächtiger Hebel der Überzeugung in diesem Jahrhundert, wo man sich nicht mehr nur mit Worte begnügt.
Auch finden sich alle Tage Leute, die von keiner Tatsache Augenzeuge waren, die nie einen Tisch sich bewegen, noch ein Medium schreibend gesehen haben, und die dennoch so fest überzeugt sind, wie wir; nur darum, weil sie gelesen und verstanden haben. Wenn man nur das glauben sollte, was man mit eigenen Augen gesehen hat, so würden sich unsere Überzeugungen auf wenige Dinge beschränken.