Das Buch der Geister

Allan Kardec

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Der freie Wille

843. Hat der Mensch freien Willen in seinem Tun und Lassen?
„Da er frei ist in seinem Denken, so ist er auch frei in sei – nem Handeln. Ohne freien Willen wäre der Mensch eine Maschine.“


844. Ist der Mensch von Geburt an im Besitz des freien Willens?
„Die Freiheit des Tuns erwacht gleichzeitig mit dem Willen etwas zu tun. In den ersten Lebensjahren ist die Freiheit so ziemlich gleich Null, sie entwickelt sich und wechselt ihren Gegenstand mit den Fähigkeiten. Das Kind das denkt, wie es die Bedürfnisse seines Alters mit sich bringen, richtet sei – nen freien Willen auf die Dinge, die ihm nötig sind.“


845. Sind nicht die instinktartigen Neigungen, die der Mensch mit sich auf die Welt bringt, ein Hindernis für die Ausübung des freien Willens?
„Die instinktartigen Neigungen sind diejenigen des Geistes vor seiner Inkarnation. Je nachdem er mehr oder weniger fortgeschritten ist, können sie ihn zu tadelnswertem Tun anreizen und er wird hierin von den Geistern unterstützt werden, die mit diesen Neigungen sympathisieren; unwiderstehlich ist aber diese Anreizung nicht, wenn man den Willen hat zum Widerstand. Erinnert euch: Wollen heißt Können.“ (361.)


846. Hat seine physische Veranlagung keinen Einfluss auf das Tun des Menschen und wenn ja, geschieht dies dann nicht auf Kosten des freien Willens?
„Gewiss wird der Geist vom Stoff beeinflusst, der ihn in seinen Äußerungen behindern kann. Darum entfalten sich auch auf den Welten, wo die Leiber weniger stofflich sind als auf der Erde, die Fähigkeiten mit größerer Freiheit. Nicht aber das Werkzeug verleiht die Fähigkeit. Übrigens muss hier zwischen intellektuellen und moralischen Fähigkeiten unterschieden werden: Wenn ein Mensch Neigung zum Mord hat, so ist es gewiss sein eigener Geist, der jene besitzt und sie ihm eingibt, und nicht seine Organe. Wer sein Denken vernichtet, um sich nur mit dem Stoff abzugeben, der wird dem Tier gleich und noch schlimmer, denn er denkt nicht mehr daran, sich gegen das Übel und das Böse zu schützen und darin eben liegt sein Fehler, in dem er so nach seinem Willen handelt.“ (Siehe: Frage 397 ff. ,,Der Einfluss des Organismus.“)


847. Nimmt die Beeinträchtigung der Fähigkeiten dem Menschen den freien Willen?
„Der, dessen Intelligenz aus irgendeiner Ursache gestört ist, ist nicht mehr Herr seines Denkens und hat von da an keine Freiheit mehr. Diese Beeinträchtigung ist oft eine Bestrafung des Geistes, der in einem anderen Dasein eitel und hochmütig gewesen sein und einen schlechten Gebrauch von seinen Fähigkeiten gemacht haben mag. Er kann in dem Leib eines geistig Behinderten wiedergeboren werden, wie der Despot in dem eines Sklaven und der schlechte Reiche in dem eines Bettlers. Der Geist aber leidet von diesem Zwang, dessen er sich vollkommen bewusst ist: Dies ist die Wirkung des Stoffes.“ (371.)


848. Entschuldigt die Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten durch Trunkenheit die tadelnswerten Taten?
„Nein, denn der Trunkenbold beraubt sich freiwillig seiner Vernunft, um seinen rohen Leidenschaften zu frönen. Statt eines Fehlers begeht er deren zwei.“


849. Welche Fähigkeit herrscht beim Menschen im wilden Zustand vor: Der Instinkt oder der freie Wille?
„Der Instinkt, – was ihn aber nicht hindert, bei gewissen Dingen in völliger Freiheit zu handeln. Aber er wendet, wie das Kind, diese Freiheit auf seine Bedürfnisse an und sie entwickelt sich so mit seiner Intelligenz. Folglich bist du, der du aufgeklärter bist als ein Wilder, auch verantwortlicher für dein Tun.“


850. Ist nicht zuweilen die gesellschaftliche Stellung ein Hindernis für die volle Freiheit des Handelns?

„Die Welt hat ohne Zweifel ihre Ansprüche. Gott ist gerecht: Er trägt allem Rechnung, euch aber lässt er die Verantwortlichkeit für die geringe Anstrengung, die ihr zur Überwindung der Hindernisse macht.“